Gedanken über die letzten Monate

Stellungnahme zu einigen Punkten und Wörtern, sowie zu den Ereignissen und Entwicklungen der letzten Monate rund ums Hafenareal und Rheinhattan

Einiges ist passiert in diesem Rahmen, der sich um das Projekt Rheinhattan gelegt hat. Da hat man gesehen, dass doch einige Leute aus dem Quartier nicht einverstanden sind mit von oben verordneten Entwicklungsbefehlen. Und dann sahen wir auch die panikartige Reaktion der rechtspopulistischen Mediengefässe, von TeleBasel und BaZ. Da mussten sie sich eine unserer Freundinnen aussuchen und sie zu einer Agitatorin hochstilisieren, die demokratische Gremien unterwandert und mit ihrer Nichtdiskussionsbereitschaft die ganze schöne Entwicklungswelt kaputtmacht tamisiech und nicht einmal auf Schweizerdeutsch! Schlimm ist es geworden in unserem Lande!
Was sollen wir dazu sagen? Nichts zu sagen hat in diesem Falle mehr Gehalt als die Berichterstattung obengenannter Auswüche der schweizerischen Medienlandschaft.
Und wir, die wir nun als „militant“ und „linksautonom“ etikettiert wurden, wir ewigen Verhinderer und Verhinderinnen. Soso. Anarchistisches Pack, das wir sind. Wir arbeiten niemals und wollen alles gratis und wir wollen noch grad das ganze Hafenareal nur für uns alleine. Und mit uns reden geht ja gar nicht, weil wir schreien dann gleich Parolen und im dümmsten Fall schmeissen wir grad noch Steine und zünden Autos an und übrigens: wir müffeln auch ein bisschen. Und neben uns militanten anarchochaotischen autonomen vaterlandslosen Gesellen, gibts im Widerstand gegen das Rheinhattan-Projekt auch nur komische Sozialromantikerinnen, realitätsferne Künstler, irgendwelche Freaks und wohl sogar, und soweit kommts noch, sogar ein paar IV-Bezüger. Schlimm diese Nachbarschaft hier. Froh sind wir, dass TeleBasel uns die Augen geöffnet hat.
Da fragen wir uns mittlerweile also selbst, was man mit uns noch anfangen soll.

Nichtsdestotrotz möchten wir hier versuchen, gewisse Gedanken nochmal zu formulieren. Gedanken, die einerseits mit Rheinhattan als spezifischem Projekt zu tun haben, jedoch auch mit der Entwicklung dieser Stadt, in der wir leben, im Allgemeinen. Wie wollen wir denn eigentlich in dieser Stadt leben? Was soll hier noch Platz haben und was können wir tun, um unsere eigenen Plätze zu erhalten, neue zu finden – bevor wir platzen!

Vielleicht zuerst zu unserer gnadenlosen Ablehnung jeglicher Diskussion, wie das von den Medien ja so gern dargestellt wird. Wir haben nicht das Gefühl, dass wir nicht mit den Leuten hier reden. Der Widerstand gegen Rheinhattan hat viele Gesichter und viele Stimmen. Wir haben immer auch zugehört. Wir nehmen an den Treffen im Quartier teil, an Sitzungen und Diskussionsrunden und teilen unsere Positionen mit. Hören uns andere Positionen an und stellen uns sodann immer wieder die Frage, wie all diese Positionen zu einem gemeinsamen Ausdruck finden können oder manchmal eben halt auch nicht. In diesem Zusammenhang wollen wir nicht abstreiten, dass wir keine grosse Lust verspüren, mit Vertretern und Vertreterinnen zu diskutieren, die die angesteuerte Entwicklung im Klybeck/Kleinhüningen als „natürliche“ oder „geht halt nicht anders“  Entwicklung einschätzen – weil anders geht es halt schon und zwar auf ganz viele verschiedene Arten und Weisen. Dies zeigt sich ja bereits im breiten und unterschiedlichen Widerstand gegen Rheinhattan.
Die uns attestierte fehlende Diskussionsbereitschaft wird unter anderem auf die gestörte Podiumsdiskussion im luxuriösen Hotel Les Trois Rois zurückgeführt. Eine Stellungnahme dazu kann auf unserem Blog nachgelesen werden (rheinhattanversenken.noblogs.org). Hier nur soviel: Es erscheint uns immer noch provokativ, eine Diskussion über das Klybeck und Kleinhüningen, sowie die angestrebte Entwicklung dort, an einem Ort wie dem Hotel Les Trois Rois durchzuführen. So wurde denn halt der Beginn der Veranstaltung gestört, kurz unterbrochen, bevor sie ganz ordentlich dann doch durchgeführt wurde. Die Thematik und Problematik von Rheinhattan hat dadurch eine stärkere Öffentlichkeit und ein grösseres Interesse erfahren. Wir glauben, das ist ganz ok so.

Und wer sind wir denn nun eigentlich? Linksautonome? Sozialromantiker? Anarchistinnen? Oder gar Chaoten, die nur Stunk machen wollen? Ihr lieben Medienschaffenden, nennt uns, wie ihr wollt.  Wir leben in dieser Stadt und stellen Fragen. Beispielsweise: Wie genau wollen wir in dieser Stadt leben? Was heisst es, unter den gegebenen Umständen, hier zu leben? Wo fühlen wir uns wohl, wo nicht mehr? Und hat dies allenfalls mit gewissen städtebaulichen Entwicklungen zu tun?
Und dann denken wir manchmal Sachen wie: Verdammt, die Mieten sind zu hoch und sie werden wohl noch steigen. Oder auch: Warum muss jetzt dieses Rheinhattandingsbums genau hier hingeklatscht werden und warum soll es überhaupt sein müssen? Und vielleicht denken wir dann manchmal auch: Halt mal, irgendwie nervt’s grad, dass schon wieder irgendwo Entscheidungen getroffen werden, die wir direkt zu spüren kriegen, aber irgendwie so gar nichts mit uns zu tun haben. Wäre es nicht möglich, dass wir, die wir hier leben einfach selbst bestimmen würden?
Wir haben keine Patentlösungen, geschweige denn eine Entwicklungsvision. Wir wollen auch gar keine haben, aber wir sind bereit, den Versuch zu wagen, mit verschiedenen Leuten zusammen herauszufinden, was denn überhaupt möglich ist, wenn man sich zusammentut und nicht mehr einfach akzeptiert, was von oben her kommt.
Und ja, wir wollen in unserem Quartier keine „gehobenen“ Wohnungen. Wir wollen keine Luxusappartments. Und dann wird immer von „sozialer Durchmischung“ gesprochen. Was soll das denn meinen? Das ist nichts anderes als eine Kampfansage an die jetzigen Bewohnerinnen und Bewohnern eines Quartiers. Durchmischt doch das Bruderholz. Verdichtet euch selbst! Die meisten hier leben und dichten schon eng genug aufeinander. Irgendwie stört uns die Vorstellung, dass da Menschen nicht mehr in ihrem Quartier, in dieser Stadt leben dürfen, weil sie sich die Miete nicht mehr leisten können, also ihr Leben hier „nicht mehr finanzierbar“ ist.

Ausser den geldgerichteten, grössenwahnsinnigen Phantasien einiger Weniger gibt es keinen wirklichen Grund, das Hafenareal zu überbauen, verzwischenzunutzen und somit zu segmentieren, regulieren und ordnenderhalber einzugreifen. Es kann und darf ein Ort des Experimentierens sein, ohne Parzellen, ohne Rendite, aber vielleicht mit vielen verschiedenen Orten, die von Leuten gehegt und gepflegt werden, die hier wohnen, gleich nebenan und – jetzt Achtung, ganz gewagt: vielleicht könnte ja doch der Wagenplatz Platz auf dem Platz haben und dort bleiben. Zusammen mit der öffentlichen Küche, der kleinen Bühne und der Bar, die dort aufgebaut wurden und werden, ist dies die erste wirkliche Öffnung des Hafenareals. Wir können nur dazu ermuntern, da vorbeizuschauen, falls ihr das noch nicht gemacht habt. Da hat’s noch Platz für ganz viele andere Ideen! An dieser Stelle winken wir solidarisch in Richtung Ex-Migrol-Parzelle (und wenn wir gerade dabei sind, auch in Richtung Schiessplatz in Allschwil). Wir hoffen, dass noch mehr Projekte und Ideen dort Platz finden und auch dort bleiben. Zusammen mit den bereits ausgewählten Zwischennutzungen könnte ein spannendes Neben- und Miteinander passieren, wenn wir uns aufeinander einlassen.

Jetzt würden dann wohl diese Argumente herangewabert kommen und herangeschleift werden, dass doch eben kaum noch Platz in Basel ist, dass man doch den Platz ausNutzen muss, damit ein Nutzen entstehe, der dann jemandem nützt und überhaupt, kann man diese Entwicklung doch nicht aufhalten, die kommt halt sowieso, von woher weiss man nicht genau, aber sie kommt und ist auf keinen Fall aufzuhalten, das wäre ja noch schöner! Wir glauben eben wirklich, dass es schöner wäre, wenn diese Entwicklung mal kurz eine Pause macht. Dann könnten wir verschnaufen und selber bisschen überlegen, was wir wollen mit den Orten, an denen wir leben, mit den Häusern, in denen wir wohnen und mit den Menschen, die uns umgeben. Verschiedene Leute an verschiedenen Orten in unseren Quartieren haben da auch noch so Ideen im Kopf und die könnte man ja auch mal rauslassen und schauen, was passiert.

Eine derartige Entwicklung der Stadt, wie sie in den letzten Jahren in Basel passiert, ist nicht zwanghaft, nicht natürlich und nicht unumgänglich. Sie ist all dies nur, wenn man davon ausgeht, dass wir immer mehr Rendite wollen, die Wirtschaft immer noch mehr wachsen muss und die Waren im Fluss auch immer mehr werden müssen. Und damit die Waren im Fluss auch zur Genüge und unkompliziert hierhin und dorthin geschifft werden können, braucht’s dann ein neues Hafenbecken und das braucht Geld und Geld ist bei den Investoren und die fänden so Wohnungen und Hochhäuser direkt am Rhein wohl noch gut, um da bisschen Wohnraum zu schaffen, das ist doch gut, Wohnraum schaffen. Klar, dass in dieser Logik jedes Fitzelchen ungenutzten, undefinierten Raumes zum Spekulationsgegenstand und zur Ware degradiert wird.

Und übrigens: Wir glauben, es ist nicht schlimm, zu sagen, dass in dieser ganzen Aufwertungsthematik und in der Diskussion um die Höhe von Mieten ein Konflikt drin hockt, der sich abspielt zwischen Leuten mit viel Geld und Leuten, die manchmal Mühe haben, die Krankenkasse zu bezahlen. Zwischen Leuten, die dann in eine 3-Zimmerwohnung mit 120 Quadratmeter Wohnfläche einziehen und ohne Probleme 3000 Franken zahlen können (Zahlen frei erfunden, weil ja eigentlich egal wie teuer und wie gross die Wohnung ist, weil zu teuer und zu gross sind diese Wohnungen für uns allemal) – also ein Konflikt zwischen den Leuten, die sich das leisten können und wollen und denjenigen, die mit den 600 oder 800 Franken Miete für ihre kleine 2-Zimmerwohnung auch schon Mal im Verzug sind. Wir glauben, dass es diesen Konflikt gibt und dass er sich unter anderem auch in Grossprojekten wie Rheinhattan wiederspiegelt und ebenso in den Versuchen sichtbar wird, eine ganze Stadt zu einer Rendite ausschüttenden, sauberglänzenden Maschine umzuformen. Halt eben doch so ein bisschen reich gegen arm.
Deshalb stellen wir bisweilen die Frage: Für wen? Für wen passiert da eine Aufwertung, für wen bauen die da Hochhäuser? Für mich und dich? Kann ja auch mal als Frage stehen bleiben.

Ach ja genau, da hiess es in verschiedenen kundgetaner Meinungen in den Medien, dass wir von „Rheinhattan versenken!“ ja nur Wenige sind und dass wir nicht das ganze Quartier vertreten. Echt jetzt? Wir dachten immer, wir seien alle und hätten ein offizielles Mandat für Jede und Jeden sprechen zu dürfen. Mal im Ernst: Nicht ein Mal kam von uns auch nur eine Andeutung, dass es so wäre. Manchmal reicht es uns sogar schon, wenn wir es schaffen, dass das Thema Stadtentwicklung bzw. Rheinhattan zur Sprache kommt und dass nicht vergessen geht, was sich da anbahnt. Was wir bisweilen versuchen, ist, eine Position zu formulieren, die eine von Verschiedenen ist im Widerstand gegen Rheinhattan und gegen die von oben verordnete Stadtentwicklung. Und ja, manchmal getrauen wir uns auch zu hoffen, dass die Eine oder der Andere diese Position interessant findet und darüber nachdenkt, um dann auch eine Position oder Stimme zu finden. Da ist bei uns nicht das Gefühl, dass wir die Wahrheit vertreten, dass wir wissen, wie es gemacht werden soll und eine Lösung für alle Probleme haben. Das ist eher charakteristisch für all die PlanerInnen, PolitikerInnen und ArchitektInnen. Wir möchten vor Allem, dass wieder die Leute selbst bestimmen, die es direkt betrifft.
Wir denken, es ist wichtig, unbequem zu sein gegen oben und solidarisch unter- und nebeneinander. Und nur nebenbei: Wir sind mehr oder weniger Wenige, das ist uns bewusst. Bewusst ist uns aber auch, dass die, die da oben in ihren Büros sitzen, planen und spekulieren auch nicht grad sehr viele sind.

Wie soll es nun weitergehen? Ernstgemeinte Frage. Auch hier haben wir nicht eine endgültige Antwort. Wir sind noch da und ganz viele andere auch. Und Rheinhattan wollen wir immer noch versenken. Als Projekt einerseits und als Symbol andererseits.
Jetzt ist der Frühling da und der Sommer folgt. Wir werden wieder mehr draussen sein. Wir werden auch wieder präsenter sein. Wir hoffen, dass alle anderen, die sich im Widerstand gegen Rheinhattan und die dahinterliegende Logik befinden, auch noch da sind und sein werden. Dann können wir zusammen unbequem sein und zusammen Ideen finden, wie wir es schaffen können, dass unser Quartier nicht kaputtsaniert wird.
Wir verlieren weder unseren Humor noch unseren Mut. Weder das grosse Geld, dass sich da drohend auftürmt, noch die davorherkriechenden Medienausgeburten schaffen es, dass wir einfach aufhören. Und wir werden auch nicht aufhören zu reden, zu diskutieren, zu scherzen und zu lachen!

Wir hoffen, dass wir uns alle nicht einlullen lassen, von taktischen Versprechen der Stadt oder vermeintlichen Zückerchen, die uns dargeboten werden. All unsere geäusserten Wünsche, Ideen und Vorstellungen sind erst dann unmöglich, naiv oder realitätsfern, wenn wir selbst dies glauben und im dümmsten Fall beginnen zu verinnerlichen, dass es da wirklich nichts geben kann ausserhalb einer kapitalistischen Logik. Das wäre sehr, sehr schade…

Bis dahin verbleiben wir mit freundlichen Grüssen und mit hoffnungsvollem Blick auf die kommende, wärmere Zeit

Eure Rheinhattan-Versenkerinnen und -Versenker!

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